Reggae in Berlin

Chronixx Interview 2013

 

R.I.B.:
Vielen Dank für das tolle Konzert! Wie hat es Dir denn gefallen?
 
Chronixx:
Es war echt gut! So wie auch die anderen Konzerte in Deutschland. Die Leute hier haben unsere Musik wirklich gut angenommen!
 
R.I.B.:
Was gefällt Dir persönlich denn besser? Auf großen Festivals wie Summer Jam und Reggae Jam aufzutreten oder Konzerte wir heute zu spielen?
 
Chronixx:
Ganz ehrlich... ich bin bei Konzerten wie heute immer viel aufgeregter! Es ist zwar ein kleineres Publikum, aber das ist Dir dafür viel näher. Auf den Festivals ist man einer unter vielen Artists. Aber bei einem Konzert wie heute kommen die Leute nur für Deine Musik! Sie wollen alle Deine Songs hören und hören auch jeden Fehler... das ist viel intensiver!
 
 
R.I.B.:
Wie gefällt dir denn das YAAM?
 
Chronixx:
Toller Ort! So viele Bilder, Artwork und Graffitis hier...! Schön zu sehen, dass es hier einen Platz gibt, an dem sich die Leute künstlerisch ausdrücken können.
 
R.I.B.:
Lass uns ein wenig über deine musikalischen Roots reden: Stimmt es, dass du deinen ersten Song mit 5 Jahren geschrieben hast?
 
Chronixx:
Well... mit 5 konnte ich noch nicht schreiben... ;)...!
Aber ich habe damals einen Song gemacht und seitdem habe ich immer Musik gemacht: Ich habe gesungen, Songs geschrieben und Instrumente spielen gelernt. Dadurch, dass mein Vater Musiker ist, war ich auch immer von Musik umgeben. Musik wurde in unserem Lifestyle und in meinem Umfeld immer akzeptiert, gefördert und geachtet.
 
R.I.B.:
Würdest du also sagen, dass Dein Vater Dein größter musikalischer Einfluss ist? Wer oder welche Styles haben dich noch inspiriert?
 
Chronixx:
Im Universum gibt es viele Dinge und Menschen, die mich und meine Musik beeinflusst haben! Sieh Dir doch einmal dieses Glas an: es besteht aus Milliarden von Molekülen, von denen keins wichtiger als das andere ist! So ist es auch mit meiner Musik, da gehört alles gleichermaßen zusammen!
 
R.I.B.:
Es ist gerade viel die Rede über das sogenannte Roots Revival in Jamaica. Was denkst Du, warum das gerade jetzt passiert?
 
Chronixx:
Diese Frage tauchte wirklich in jedem Interview in Europa auf! Ich kann ich das gar nicht oft genug sagen... Roots Music und Artists hat es immer in Jamaica gegeben! Roots und Reggae ist die Musik, die in Jamaica nach wie vor am meisten gemacht wird, nicht Dancehall!
Alle Artists, auch die Dancehall-Artists, machen auch Reggaesongs wie z.B. Konshens, Movado, Popcaan und Vybz Kartel. Seit den 60ern gibt es mindestens 500 Reggae Artists, die Platten aufgenommen haben. Aber heutzutage wird ja fast alles über die Medien gesteuert. Roots Musik ist jetzt in den Medien wieder viel stärker vertreten als in den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren und wird von den Leuten innerhalb und außerhalb von Jamaica wieder viel besser angenommen.
Es ist auch nichts Schlimmes an Dancehall Music, die ja wiederum auch aus dem Reggae entstanden ist. Reggae Artists wie U-Roy und Brigadier Jerry haben den Dancehall miterfunden. Aus Roots wurde Dub und aus Dub entstand Dancehall. Das Genre wurde ja erst später so benannt... Ursprünglich waren das eher Sessions von Roots Musikern und Soundsystems. Damit wurde so ganz natürlich herum experimentiert und daraus sind Superstars wie etwa Shabba Ranks, Buju Banton, Shaggy, Sean Paul, Bountykiller und Beenieman hervorgegangen...und diese Liste lässt sich natürlich noch fortsetzen!
Somit ist das Roots Revival nicht wirklich eine musikalisches Revival, sondern es ist ein Revival im Herzen der Leute! Warum weiß ich nicht...aber jetzt wird dieser Musik wieder mehr Achtung entgegengebracht!
 
R.I.B.:
Aber gibt es jetzt nicht mehr Bands in Jamaica als noch vor kurzem?
 
Chronixx:
Nein, Reggae Bands gab es auch die ganze Zeit! Nur, dass die Promoter in Europa sie nicht gebucht haben. Sie wurden weder im Radio noch von den Soundsystems gespielt. Raging Fyah, Tarrus Rileys Band, Dubtronic Kru z.B. gibt es alle schon über 5 Jahre. Tarrus Riley etwa hat schon 4 Alben gemacht, bekannt sind aber nur 2. Es kann Dir im Musikbusiness passieren, lange von den Medien ignoriert zu werden, so dass die Leute denken, Du bist ganz neu auf dem Markt. Ich habe Musik produziert, seit dem ich fünfzehn war.... Konshens, Lutan Fyah, Vybz Kartel...wir haben die ganze Zeit Musik gemacht. aber nichts passiert, bevor nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist! And now is the time...!
 
R.I.B.:
Wie hast du denn Deine Musiker getroffen?
 
Chronixx:
Vorher habe ich viel mit unterschiedlichen Musikern gearbeitet. Jamar, Joshua und Elisha kannte ich schon aus früheren Bands und teilweise aus der Kirche. Wir kennen uns alle schon lange, aber hatten nie eine eigene Band. Als ich sie darauf angesprochen habe, dass ich eine Band suche, hatte dann jeder von ihnen eine Band zusammengestellt. Da waren es plötzlich 3 Bands! Aus diesem Set von Musikern ist die heutige Zic Fence Band entstanden. Sie sind alle Künstler so wie ich! Super Musiker die die ganzen Live-Arrangements zusammenstellen und somit ein wesentlicher Teil meiner Musik sind.
 
R.I.B.:
Die kommt denn Deine Verbindung mit anderen Artists wie Protoje, Kabaka Pyramide und Romain Virgo zustande? Man sieht sie ja häufig in deinen Videos und umgekehrt...
 
Chronixx:
Protoje und Kabaka Pyramide habe ich vor etwa zwei Jahren kennengelernt. Ich hatte Protoje einige Riddims zugeschickt. Zu der Zeit habe ich ja nicht viel gesungen, sondern hauptsächlich produziert. Er fand die Tracks gut und hat mich anschließend mit Kabaka Pyramide in Verbindung gesetzt. Der hat ganz großartige Lyrics und ich habe drei Tracks für seine erste EP produziert. Jah 9 habe ich auch an den gleichen Tag wie Kabaka Pyramide bei Protoje kennengelernt. Dort sind viele Leute zusammen gekommen und viele dieser starken Verbindungen haben bis heute gehalten. Protoje hat damals gerade sein erstes Album „The Seven Year Itch“ herausgebracht und Kabaka Pyramide arbeitete gerade an seiner EP „Rebel Music“. Ich war auch gerade dabei meine ersten Songs (Rain Music, Warrior, Behind Curtain) aufzunehmen. Protoje war der Erste, der „Rain Music“ gehört hat und meinte, das wird ein Hit ... das war Ende 2010. Mit „Beat & A Mic“ und „They Don't Know“ war das genauso. Neben unserer starken musikalischen Verbindung sind wir auch richtig gute Freunde und Bredren geworden. So war das auch mit Sizzla, Jah Cure, Chezidek und Jah Mason in der vorherigen Musiker-Generation. Solche Künstler-Freundschaften können natürlich auch zerbrechen, das passiert ja ziemlich oft im Dancehall, aber Reggae Music erhält die Freundschaft!
 
R.I.B.:
Gerade war der jamaikanische Unabhängigkeitstag. Wie hast du den verbracht? Hast Du das gefeiert?
 
Chronixx:
Ich glaube nicht an Unabhängigkeit, niemand ist unabhängig! Unabhängigkeit ist ein Mythos und eine Lüge! Unabhängigkeit ist unmöglich! Wenn ich zum Beispiel sterbe, beeinflusst das das Leben vieler anderer! Ich wiederum kann nicht ohne meine Band musikalisch überleben! Ich müsste andere Leute finden und wäre von denen abhängig. Ich kann ja nicht einfach Acapella singen, das wäre dann nicht meine Musik. Jeder ist doch von jemand anderem abhängig. Der Arzt braucht den Soldaten, um ihn zu beschützen. Der Soldat braucht den Arzt, um ihn zu heilen.
Diese Abhängigkeiten zwischen den Menschen sind etwas sehr Wertvolles! Das wäre eigentlich ein besserer Grund zum Feiern! Ich freue mich von so vielen Menschen abhängig zu sein! bin glücklich über die Tatsache, ohne meine Familie nicht überleben zu können! Für mich ist Unabhängigkeit kein Grund zum Feiern!
Fire pon Independence! there is no independence! Independence means you are in-dependence!
51 Jahre Unabhängigkeit... und wir sind abhängig von der EU, vom IWF, den USA, den UN etc.. Jamaika ist wahrscheinlich eines der abhängigsten Länder der Welt. Man hat uns für 450 Jahre versklavt! Wenn sie uns jetzt 2 Millionen Dollar Reparationszahlungen schenken, ist das doch lediglich ein sehr kleiner Teil von Kuchen! Wir sollten einfach der Wahrheit ins Auge sehen: Vergangenheit ist Vergangenheit und Zukunft ist Zukunft! Abhängigkeit und Unabhängigkeit ist historisches Gedankengut.
 
R.I.B.:
Du bist doch auch schon in Afrika aufgetreten... Wie hat sich denn das für Dich angefühlt?
 
Chronixx:
Ja richtig! In Kenia zum Unabhängigkeitstag. Ich habe mich sofort ziemlich zuhause gefühlt. Es ist so lebhaft und pulsierend dort: das Leben ist intensiv, vielfarbig und vielseitig. Tolle Menschen und so viele unterschiedliche Sprachen und Kulturen!
Es gibt so viele Lügen und falsche Messages über diesen Kontinent, aber für mich ist Afrika ein sehr strahlender Ort, wobei es dort sicherlich auch Einiges zu tun gibt. Es war mir eine große Freude, dort aufzutreten!
 
R.I.B.:
An welchem Ort der Welt würdest du noch gerne spielen?
 
Chronixx:
In Kapstadt / Südafrika...
 
R.I.B.:
...und was steht bei Dir musikalisch als Nächstes an?
 
Chronixx:
ich werde eine neue EP namens „Dread & Terrible“ veröffentlichen. Das wird dann so eine Art Vorgeschmack für das neue Album....
 
R.I.B.:
Schön, darauf können wir uns also schon mal freuen! Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die weitere Tour!
 
Interview: Annette B.,  Fotos: Perry + Alex K.
07.08.2013 Yaam