Reggae in Berlin

Tiken Jah Fakoly Interview 2023

RIB:

So, das war heute das letzteKonzert für den Moment? Die Tour für das Album läuft ja schon seitletztem Mai….


TJF:
Wir machen eine kleine Pause und spielen am Mittwoch in Barcelona. Derzeit stehen noch 3 Konzerten, danach geht es im Sommer weiter.


RIB:

Vielen Dank zunächst für diese wunderbare Show. Ich würde sagen, dass das Publikum sehr begeistert war… Wie hast du es denn empfunden?


TJF:

Danke. Ich bin sehr zufrieden, denn nach Covid ist das nicht so einfach. Es macht einfach große Freude, jetzt wieder so viele glückliche Menschen zusammen zu sehen. Es ist toll, die Leute tanzen und singen zu sehen. Wir sind wirklich sehr zufrieden mit dem heutigen Abend.


RIB:

Oh ja. So ist es für uns auch!
Ichhabe mich gefragt, ob ein Auftritt in Berlin für dich etwas Besonderes ist? Immerhin wurde hier in der Kongokonferenz die Aufteilung Afrikas in Kolonien beschlossen…


TJF:

Ja, das stimmt, aber daran habe ich gar nicht gedacht. Es mag sein, dass diese spezielle Energie heute Abend damit zu tun hatte. Das Publikum hat ja meine Songs so lautmitgesungen. In Französisch sogar… Ja, es ist schon etwas sehr Besonderes „Plus rien ne m’etonne“ nach all den Jahren hier zu singen.


RIB:

Und man hört das Berliner Publikum sehr selten so viele französische Songs mitsingen bei einem Künstler, der nicht aus Frankreich kommt. Dieses Interview ist für die Reggae in Berlin-Page, und natürlich finden wir es interessant, wie du mit dem Reggae in Berührung gekommen bist…


TJF:

Mein erster Kontakt mit Reggae war in meinem kleinen Dorf, wo es keinen Strom gab. Ich bin dort gelandet, weil mein Vater mich dorthin geschickt hat, Als ich noch in der Stadtgelebt habe, habe ich nie richtig gelernt. Ich tanzte lieber. Und so schickte mich mein Vater in dieses kleine Dorf und ich habe dort das erste Mal Reggae auf einem Fest gehört.

Ab dann habe ich versucht zu verstehen, was im Reggae gesagt wird. Sobald ich die Message entdeckte, war ichvon dieser Musik gefesselt.


Als ich angefangen habe, mich fürReggae-Texte zu interessieren, war ich ungefähr 13 Jahre alt. ich bin damit aufgewachsen und dann, als es in meinem Land Probleme gab, begann ich, selbst darüber in Liedern zu sprechen.



RIB:
Der Roots Reggae hat dich also geprägt?



TJF:

Ja genau, das war 1979/1980. Ich hörte Bob Marley, Burning Spear, Peter Tosh, Culture, U-Roy und Ijahman. Ich habe mir das alles angehört, und natürlich auch Alpha Blondy.



RIB:

Und welche anderen musikalischen Einflüsse gab es noch?


TJF:

Oh, da war zum Beispiel Fela (Kuti) aus Nigeria, den ich sehr verehrte.

Denn sobald ich mich für eine Musik interessierte, habe ich nachgeschaut, was darin gesagt wird. Und so habe ich herausgefunden, dass auch Fela einen Kampf mit seiner Musikführt.


RIB:

Welche Rolle spielt die Rasta-Religionfür dich als Afrikaner?


TJF:

Rasta ist für mich nicht zwangsläufigeine Religion, kann aber Religion sein.

Weil ich sehe, dass es heute viele Menschen gibt, die Rasta als Religion ansehen.

Ich habe Rastafari immer als Bewegung gesehen. Eine Bewegung, um das Bewusstsein zu wecken und einen Kampf zu führen. Aber ich respektiere alle, die Rastafari als eine Religion betrachten.


RIB:

Und du warst ja auch in Jamaika…


TJF:

Ja, ich war vier Mal dort. 2001 habe ich dort das Album „Françafrique“ aufgenommen, 2004 „Coup de geule“, 2010 „African Revolution“ und 2014 „Racines“


RIB:

Wie hast du Jamaika wahrgenommen?


TJF:

Oh, sehr gut, sehr gut.

Du hast das Gefühl, in Afrika zu sein. Ich fand es unglaublich, als ich zum ersten Mal dort ankam. Sie verhalten sich genauso wie wir, wir ähneln uns, sie kommen zu allen Terminen zu spät (Hehehe!), ja, die Zeit tickt dort sehr ähnlich wie bei uns (Hehehe!)… Es war eine schöne Erfahrung. Ich habe mich dort wie zuhause gefühlt. Für mich als jungen Künstler und großen Verehrer von Bob Marley war meine Reise nach Jamaika alswürde ein Moslem nach Mekka pilgern.



RIB:
Das letzte Album ist ja ein sehr typisches Tiken Jah Fakoly-Album. Man hört sofort, dass du es bist. Was macht deinen Stil im Reggae aus? Was ist deine Handschrift?


TJF:

Ich denke, meine Handschrift ist zu meinen die Integration der traditionellen Instrumente im Reggae und zum anderen die Aktualität der Themen, über die ich spreche. Ich spreche aber auch von Dingen, die noch nicht passiert sind, aber kommen können.

Das ist aber nicht Neues, denn Bob Marleys Songs sind ja auch nach wie vor aktuell. Ich denke, dass das die wahre Aufgabe von Reggae ist: Themen aufbringen und die Leuteaufwecken.


RIB:

Ja, das stimmt, denn nach 30 Jahren Karriere und 11 Alben sind diese Themen ja immer noch aktuell und somit deine Songs. Es ist der immer währende Kampf gegen die Ungerechtigkeit des Systems und der Regierungen.


TJF:

Ja genau. Das ist der gleiche Kampf wieder von Bob Marley. Es ist nicht sehr kompliziert.

Man muss die Dinge und die Sprachevereinfachen und das ist es, was die Leute annehmen.

Die Songs handeln vom täglichen Lebender Menschen, von Geschichte und Gegenwart und wie wir uns auf dieZukunft vorbereiten können. Ich denke, das ist Reggae. Wir haben nurden Kampf weitergeführt, den Bob Marley begann. Er wollte seineMessage auf der ganzen Welt verbreiten. Aber er starb mit 35 Jahrenzu früh, und wir versuchen, seine Mission fortzuführen.

Wir wollen das Volk aufwecken und dazuauffordern, seine Rechte einzufordern. Weil es niemand sonst tunwird… Das versuchen wir durch Reggae zu erreichen.

Nach all den Kämpfen, die in derGeschichte und in vielen Ländern geführt wurden und werden, habenwir heute einen wichtigen Kampf zu führen, weil wir fast wach sind.

Über die sozialen Netzwerke erfahren wir heute alles, was in der Welt passiert. Wir können da nicht einfach zusehen, weiterhin still sein und sagen „Es wird schon werden“ oder „Gott ist groß“…


RIB:

Mir fällt immer wieder auf, dass es neben der Kritik am System auch immer sehr viel Hoffnung in deinen Songs ausgesprochen wird…


TJF:

Ja, es gibt Hoffnung. Weil Afrika der Kontinent der Zukunft ist. Afrika ist der Kontinent wo es noch soviel zu tun gibt… Hier in Europa wurde ja außer der neuesten Technologien, die noch entwickelt werden, bereits fast alles getan.

In Afrika ist es ein wenig wie Deutschland vor 200 Jahren. Wir stehen erst am Anfang…

Der Tee kostet nicht viel und die Sonnescheint. Ich glaube, sobald Afrika politisch stabil ist, wird jederzu uns kommen wollen.

Es ist ja oft kalt hier, aber wenn esschön ist, sind alle glücklich. Die Menschen kleiden sich leger,sitzen in Cafés, tanzen und lachen… Bei uns ist das das ganze Jahrso. Und dazu liegen viele afrikanische Länder am Meer und haben schöne Strände.

Ich habe große Hoffnung, auch wenn ich es nicht mehr erleben werde, denn das wird vielleicht noch 100 Jahre dauern. Aber ich sehe diesen Kontinent wirklich mit viel viel Hoffnung und viel Liebe.


RIB:

Das Album ist ja sehr vielseitig und es gibt sehr unterschiedliche Guest Artists. Wie kamen denn diese Kontakte zustande?


TJF:

Das war sehr einfach. Wir kannten uns von verschiedenen Events oder Produktionen und ich habe sie einfach angerufen und gefragt. Sie haben alle sofort zugestimmt, auch wenn es dafür kein Geld gab. Es ist so eine gemeinsame Herzensangelegenheit, denn wir kämpfen ja alle für die gleiche Sache, auch wenn wir einen unterschiedlichen musikalischen Stil haben. Amadou et Mariam, Winston McAnuff, Grand Corps Malade, Dub Inc. – das ist richtig gutgelaufen.


RIB:

Was bleibt denn nach 30 Jahren Karriere, 11 Alben und vielen großen Tourneen für einen Künstler wie dich denn noch zu tun? Gibt es noch ein Konzert, das du unbedingt spielen möchtest?


TJF:

Ja natürlich. Es gibt noch viele Orte und/oder Festivals, wo ich noch nicht aufgetreten bin. Was zu tun bleibt, ist weiter zumachen, weiter Musik zu machen und gesund zubleiben.

Auch in Jamaika bin ich noch nicht aufgetreten. Das war einmal geplant, aber wurde abgesagt, da wir über Haiti gereist wären, wo es gerade politische Spannungen gab. Aber das wird noch kommen, und dann wird es mir eine große Freude sein, mit den traditionellen Instrumenten und meiner afrikanischen Botschaft dort zu spielen.

Und dann möchte ich noch meine Farmweiter vergrößern mit Landwirtschaft und Tieren, die ich sehr liebe. In der Nähe von Bamako habe ich eine kleine Farm mit einigen Tieren, und das ist der Ort, wo ich mich erhole und zur Ruhe komme. Ich habe ja nicht viel freie Zeit, aber wenn, dann versuche ich, Zeit dort und mit meiner Familie zu verbringen

Aber das Wichtigste, was zu tun bleibt, ist es, den Kampf mit Reggae weiterzuführen und meine Message weiter zu verbreiten.


RIB:
Ich würde sagen, beim Berline rPublikum ist die Message heute angekommen. Vielen Dank für deine Zeit und alles Gute für die weiteren Shows! À la prochaine…


Interviw: Annette Buschermöhle 25.3.2023 Festsaal Kreuzberg


Fotos von Tiken Jah Fakoly