Reggae in Berlin

GENTLEMAN Interview // 01. April 2011

RIB:

Hi Gentleman! Schön, Du bist mal wieder in Berlin...! Wie geht's Dir..?

 

GENTLEMAN:
Gut, Danke! Wie geht’s Euch..?

 

RIB:

Letztes Jahr warst Du ja einige Male hier in Berlin...
Die große Show im Mai in der Columbiahalle, mehrere Showcases... Was war seitdem los und auf was freuen wir uns dieses Jahr?

 

GENTLEMAN:

Wir haben eine Live DVD gemacht, die Ende April raus kommt... Aufgenommen zu unserem 25jährigen Bühnenjubiläum beim Summerjam in der heißesten Nacht des letzten Jahres... Ich glaub, es waren etwa 40° als wir um halb 11 auf die Bühne gegangen sind!
Dazu haben wir eine Dokumentation gedreht, die auch auf der DVD ist.

Ich hab an vielen neuen Songs gearbeitet, wofür auch immer die sein werden... Viele Bandproben, viele Shows gespielt... es ist eine ganze Menge passiert! Eine Familie habe ich ja auch noch. Es ist nicht immer einfach, das alles unter einen Hut zu kriegen, aber irgendwie ist es mir gelungen, in dem ich zwischendurch Zeiten habe, wo ich einfach mal gar nichts macht...

RIB:

Wie war denn die USA-Tour...?

 

GENTLEMAN:

Es war sehr cool dort. Die meisten Shows waren in Kalifornien. Es ist riesig, es gibt viele Festivals dort und die Leute haben dort echt einen sehr speziellen Bezug zur Musik. Sie setzen sich sehr mit den Texten auseinander, das merkte man auch bei der Presse, wie spezifisch die Leute auf einzelne Textzeilen eingehen, wo man dann auch mal über Lyrics spricht und nachfragt, was mit einer speziellen Line gemeint ist ..

Das hat man hier eher selten, aber in Amerika und grad in Kalifornien stand das sehr im Vordergrund, was sehr motivierend war. Obwohl es dort noch keine offizielle Release von DIVERSITY gibt, waren die Leute sehr textsicher. Wir haben dort viele Leute kennen gelernt, die sehr inspirierend und motivierend waren.

 

RIB:
Wurdest Du denn dort als German Reggae Artist angekündigt oder spricht man von International Reggae..? Wie wird denn Reggae aus Deutschland dort wahrgenommen..?

 

GENTLEMAN:

Naja, es ist ja nicht wirklich Reggae aus Deutschland... Es ist ein Deutscher, der da singt... Gerade bei DIVERSITY: die Horns kommen aus Berlin, das Drumming aus New York und der Bass aus Kingston, das ist ein ganz internationales Ding!

Und das ist ja auch die Kraft der Musik, dass sie sehr universell und global ist.Und ich sehe mich als Kosmopolit... Ich fühl mich auch nicht wirklich deutsch, obwohl ich sehr froh bin, in Deutschland zu leben. Bei aller Kritik, die ich am System hier habe, finde ich, dass hier schon soweit alles im Lot ist. Gerade wenn Du länger in Amerika warst, in Asien oder Afrika; da geht es uns hier doch verdammt gut. Natürlich hat alles immer 2 Seiten.

Aber ich sehe Musik nicht als ein deutsches, jamaikanisches oder amerikanisches Ding; Musik ist international!

 

RIB:

Reggae im internationalen Kontext entwickelt sich ja gerade sehr vielfältig. Wie siehst Du die Entwicklung im Jamaican Reggae..? Es fällt einem ja schon auf, dass zur Zeit kaum noch Bands aus Jamaika kommen...

 

GENTLEMAN:

Das kommt ja wieder! Es entwickelt sich ja in ganz unterschiedlichen Phasen... es gibt immer wieder neue Trends und Hypes, und wenn es zu viel wird, ist dann auch wieder der Wunsch nach etwas ganz Anderen da...! Das ist ja aber auch das, was Musik ausmacht... Dass man keine Angst hat, mal über die Stränge zu schlagen... Die andere Seite davon ist, dass es dann irgendwann anfängt zu nerven! Aber wenn Du nicht die Eier hast, zu sagen, ich reiz das jetzt mal aus und ich mach jetzt mal ganz kranke, technoide elektronische Sounds, dann kommst Du auch nie an die richtig geilen Riddims...!

Aber jetzt scheint der Wunsch nach Roots und Live Musik wieder da zu sein...

Auch in der Dancehall in Jamaika kommt das jetzt wieder auf... Gestern habe ich mit Richie Stevens gesprochen, der auch meinte, er hat grad das Gefühl, es läuft mehr I-Octane als Vybz Kartel und es sei jetzt gerade wieder ein Umschwung da, nachdem die HipHop basierten Sounds extrem ausgereizt wurden. Ich finde diese Sounds auch immer noch richtig gut, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.

Der wahre Kern dieser Musik wird immer Roots sein, von der Message und auch vom Sound. Wenn der verloren geht und auch gerade die jüngere Generation das gar nicht mehr kennt, dann geht es in eine Richtung, die der Musik eher schadet als nützt... Aber ich glaube nach wie vor, dass mit der Zeit auch automatisch wieder der Wunsch nach mehr Roots entsteht.

 

RIB:

Die Wahrnehmung der jungen Generation, die sich hauptsächlich mit dem Sound von heute beschäftigt, ist ja eine ganz andere als die er Leute, die vor 20 oder 30 Jahren anfingen, sich mit dieser Musik zu beschäftigen...

 

GENTLEMAN:

Ja klar! Das ist eben ein Generationsding.. Es gibt im Reggae sicherlich Musik für Ältere – Roots – und die Jüngeren stehen eben mehr auf Dancehall und die HipHop-lastigen Sachen. Das sollte alles immer in der Balance sein: die HipHop Beats mit düsteren Streichern sind genau so ein Teil der Reggae Kultur wie der handgemachte One Drop und man man sollte diese Vielfalt auch immer zeigen.

 

RIB:

Man hat zur Zeit aber schon das Gefühl, das sich die Industrie doch sehr auf die jungen Artists, auf Dancehall und Solo Artists konzentriert... Aber Du sagst schon, Roots are still alive...!?

 

GENTLEMAN:

Auf jedem Fall..! Was im Radio und gerade was in den Charts läuft, ist ja auch letztendlich nicht immer repräsentativ für das, was in der Welt grad passiert.... Man könnte denken, grad ist Dancehall à la Mavado und Vybz Kartel weltweit ganz groß. Und dann machst Du aber eine Südamerika-Tour und bist danach vielleicht in Afrika, Kalifonien oder Europa und stellst fest, dass der einzige Ort, wo das wirklich so gehypt ist, Jamaika ist...

In Südamerika kennen viele Leute diese sogenannten Up to Date-Dancehall Artists noch nicht einmal. In Costa Rica zum Beispiel hört man z.B. Queen Ifrica und Tarrus Riley, Roots sind einfach unglaublich präsent und es läuft kaum Dancehall. Keiner sagt „wir mögen das nicht“, sondern es passiert einfach nicht... Und es gibt sehr viele von diesen Orten...

Und selbst bei den jungen Leute macht es ja einen Unterschied, was man in der Dancehall oder eben zu Hause im Wohnzimmer hört. Man kann das Eine nicht so mit dem Anderen vergleichen... beim Dance will man eher was Pumpiges hören und zu Hause eher was Inspirierendes... Ich selbst liebe Dancehall Music, ich steh auf Kartel, Mavado und Stephen McGregor, und diese Artists geben mir eine ganz andere Vibe als z.B. Dennis Brown oder Garnet Silk. Es sind 2 komplett verschiedene Sachen, die man gar nicht direkt miteinander vergleichen kann. Es ist schön, dass es Beides gibt...
Die Diversity ist präsent und das war sie auch immer bleiben!

 

RIB:

Wir hatten ganz kurz das Thema Afrika angesprochen und dort bist Du ja auch schon aufgetreten... Wie sind denn da Deine Eindrücke?

 

GENTLEMAN:

Sehr intensiv und sehr leidenschaftlich... Afrika ist die Wiege der Menschheit und Musik ist schon immer ein Weg gewesen, Sachen die man fühlt oder denkt einen Ausdruck zu geben. Das habe ich dort sehr intensiv gespürt. Wir arbeiten gerade an unserer neuen Tour und ich hoffe, 2012 werden wir eine längere Afrika-Tour spielen. Ich habe bisher ja nur eine Bruchteil von Afrika gesehen; ich war in Gambia und in Ghana, aber dort eine richtige Tour zu machen, ist langsam mal überfällig und 2012 werden wir das hoffentlich realisieren. Die Erfahrungen, die ich bisher dort gemacht habe, waren jedenfalls unglaublich intensiv!

Afrikanische Musik ist ja auch ganz tief im Reggae und in vielen Genres verankert, da ist Musik und der Drum-Sound entstanden. Es ist die Wiege der Menschheit und deswegen auch die Wiege der Musik. Vor allem, wenn man auch die ganzen äthiopischen Sachen hört, die auf dem Album von Nas & Damian Marley gesampelt und wieder verwendet wurden, da entsteht etwas, was auch wieder ein ganz neues Genre sein kann... Diverse Styles aus fließen zusammen und daraus entsteht etwas Neues – ein Trend, den ich sehr begrüße...

 

RIB:

Kommen wir zu DIVERSITY... Die letzte Platte fand ich recht beeindruckend, da darauf eben so viele unterschiedliche Styles zu hören sind... und gestern haben wir uns die Preview der DIVERSITY DVD angeschaut. Es geht um Tour- und Live-Impressionen, aber man sieht eher wenig Zusammentreffen mit anderen Künstlern, die z.B. auf Deinem Album zu hören sind... Da hätte es doch ein wenig mehr Diversity geben können...?

 

GENTLEMAN:

Im Vordergrund steht die Musik und es war nicht unser Anspruch, einen tiefgründigen Dokumentarfilm zu machen... Das Summerjam-Konzert war ein Live Mitschnitt der letzten 3 Alben, die wir unseren Fans dort präsentiert haben und unsere letzte Live-Platte gab es 2003.

Im Vordergrund steht also auf jedem Fall das SummerJam-Konzert mit 1 und ner Dreiviertel Stunde Show, und dafür wir haben das erste Mal mit 5.1.-Sound gearbeitet...

Dazu gibt es 30 Minuten Tour-Impressionen. Dafür haben wir uns mit Flipcams selber gefilmt, um unsere Fans mit auf Tour zu nehmen!

 

RIB:

Was kommt denn als Nächstes auf uns zu von Gentleman?

 

Ich hab in letzter Zeit viele Songs geschrieben, die irgendwann raus kommen werden. Wir bereiten uns auf die nächste Tour vor, seelisch und auch im Proberaum, und dann werde ich bald wieder ein neues Album machen. Wann das kommt, weiß ich noch nicht, aber ich werde immer Musik machen. Neue Musik wird auf Euch zu kommen!

 

RIB:

2010 warst Du zu mindestens 4 Shows in Berlin... Wie geht es hier 2011 weiter?

 

GENTLEMAN:

Wir werden ein Charity-Konzert für das Reggae Nation-Projekt machen und im September ist ein Auftritt für „Gemeinsam für Afrika“ in Berlin geplant. Das war's dann vermutlich für 2011 in Berlin...

 

RIB:

Noch eine Frage aus aktuellem Anlass: Das Album von Mono & Nikitaman kam am 01. April heraus und auf dem bist Du ja auch bei einem Song dabei.. Wie kam es denn dazu? Kennt Ihr Euch schon länger?

 

GENTLEMAN:

Ich kenne die 2 schon lange und habe mir das erste Mal ein Konzert von Ihnen in der Schweiz angesehen, das mich unglaublich beeindruckt hat. Sie haben eine solch starke Live-Präsenz, dass ich hinterher eigentlich gar keine Lust mehr hatte, selbst auf die Bühne zu gehen! Wir hatten danach ein längeres Gespräch und wir haben viele Gemeinsamkeiten und viele Ansichten, die wir teilen. Damals stand das Album grad im Raum... Wir hatten dazu ein paar gemeinsame Ideen, wir haben uns in Berlin getroffen und so ist der Song entstanden. Ein sehr schöner Song, der Hoffnung geben soll und uns erkennen lässt, dass jede Krise eben auch eine Chance für etwas Neues ist, auch wenn man das manchmal nicht weiß. Es ist oft nicht einfach, motiviert zu bleiben und idealistisch zu sein... Aber nach dem Nebel kommt ja auch wieder die Sonne heraus. Es ist immer so gewesen und so lange die Sonne scheint, wird das auch immer so sein! Es sind nur manchmal die Wolken dazwischen...

Das ganze Album hat ein sehr geilen Sound und der Song, den wir gemacht haben, hat mich wirklich bewegt. Es hat einfach alles gepasst und ich wünsche ihnen viel Erfolg für die Platte.

 

RIB:

Vielen Dank für das Gespräch! Dir auch noch viel Spaß und viel Erfolg für die DIVERSITY-DVD und alles, was da kommt..!!!

 

 

Danke an GentlemanUniversal Music.