Reggae in Berlin

Lee "Scratch" Perry***Panic in Babylon*tour*2008

Besonders geprägt haben den Reggae seine bahnbrechenden Aufnahmen in seinem „Black Ark“ Studio, die ein unvergleichliches Klangbild haben und nach wie vor unvergessen sind. Roots-Klassiker wie „War In A Babylon“ oder „Chase The Devil“ von Max Romeo, „Police And Thieves“ von Junior Murvin, oder das Debütalbum der Congos „Heart Of The Congos“ mit dem darin enthaltenen Hit „Fisherman“ – nur um einige zu nennen.
Natürlich auch nicht zu vergessen die zeitweilige Zusammenarbeit mit Bob Marley und den Wailers, die den Grundstein für den zukünftigen Erfolg von Bob Marley legte. Neben seinen Roots-Kreationen gilt Lee Perry aber auch gemeinsam mit King Tubby als Erfinder des Dub und experimentiert bis heute mit immer wieder neuen Klanggebilden herum. Soviel nur ganz kurz ein paar Sätze zu Lee Perry, dessen Biografie an dieser Stelle wohl kaum ausreichend zu würdigen ist. Neben den unzähligen Bob Marley Biografien gibt es nun seit dem Jahr 2000 wenigstens auch zu Lee Perry eine umfassende Biografie, die sein langjähriger Freund David Katz über ihn geschrieben hat. Leider gibt es bisher noch keine deutsche Ausgabe.
(„The Genius Of Lee „Scratch“ Perry – People Funny Boy“; ISBN 1846094437)
Reggae in Berlin

Lee „Scratch“ Perry, der als Rainford Hugh Perry in Jamaika zur Welt kam, ist mit seinen gegenwärtig 72 Lebensjahren immer noch nicht zu müde, um auf die Bühne zu gehen. So hatten wir das Glück, ihn nach seinem letzten Berliner Auftritt vom 02.12.2005, erneut im Kesselhaus begrüßen zu dürfen.
Einlass war wie immer für 20:00 Uhr geplant, der sich ein wenig nach hinten verschob, da man drinnen noch mit dem Soundcheck beschäftigt war. Das war aber gar nichts, gegen das was noch folgen sollte. Im Saal des Kesselhauses begann nun das Vorspiel und ein Sound legte fleißig eine Scheibe nach der anderen auf. An einem Stand gab es eine reichliche Anzahl von diversen Lee Perry Alben und sein Tourposter zu kaufen. Die Stunden vergingen und die Warterei auf Lee Perry war endlos. Als sich nach 22:00 Uhr immer noch nichts auf der Bühne tat und das Kesselhaus schon prall gefüllt war, kamen die ersten Pfiffe und Buhrufe aus der Menge. Besonders immer dann, wenn vom Sound wieder eine neue Scheibe aus der Kiste gezogen wurde. Ein zu langes Vorspiel kann eben tödlich sein. Leider waren die vom Sound ausgewählten Scheiben auch nicht sehr vielseitig und überwiegend Maxiversionen, was die Warterei auf Lee Perry auch nicht gerade angenehmer machte. Das soll natürlich nicht heißen, dass keine guten Sachen dabei waren, aber eine abwechslungsreichere Gestaltung des Vorprogramms hätte die Wartezeit schneller vergehen lassen.

Nach 22:30 Uhr traf dann schon einmal Lee Perry ein, was auf ein baldiges Ende der Warterei hoffen ließ. Der Schlagzeuger der wbr installierte schon einmal seinen PC am Schlagzeug, aber der Sound bekam noch keine Instruktionen das Vorspiel zu beenden. Es dauerte noch einmal bis 22:55 Uhr als endlich der Sound verstummte und das gewohnte Eröffnungsstück „Greetings“ den Saal erfüllte.
Die Whitebellyrats waren nur mit drei Musikern am Start, was aber dem Klangbild keinen Abbruch tat. Per Computer kann man eben nahezu alles ersetzen, was bei der Vielfalt der Geräusche und Klänge der dargebotenen Stücke aber kaum anders machbar gewesen wäre. Wer die Show kennt, wird wissen, dass Lee Perry beim ersten Stück meistens nicht zu sehen ist. Auch dieses Mal kamen seine Grußworte nur aus dem Hintergrund und die Whitebellyrats stimmten die Fans auf das Konzert ein. Die Gitarrensoli in diesem Stück verursachten wie immer einen wahren Schauer auf dem Rücken. Endlich kam dann Lee zum zweiten Stück auf die Bühne und wurde jubelnd von den Fans begrüßt. Vergessen waren die langen Stunden der Warterei. Lee Perry wie gewohnt im schrillen Outfit, mit allerlei Zierrat, Ketten und Ringen geschmückt. Auf dem Kopf eine seiner 5 „Space-Caps“, wie er seine eigens verzierten Schirmmützen nennt. Auch das Mikro war vor lauter Schmuck kaum zu sehen.
Perlen, Plaketten, riesige Glitzersteine und viele andere Dinge, ließen kaum Raum, um das Mikro richtig anzufassen. Das gleiche Bild an Lees Händen – kein Finger ohne riesigen Ring.
Eine weitere Pflichtausstattung waren die buntbemalten Schuhe, die ebenfalls mit vielen Dingen besetzt sind – Münzen, Spiegelscherben, die Flagge von Äthiopien, das Bildnis von HIM und vieles mehr. An Lee Perrys Garderobe konnte man wie immer vieles entdecken, obwohl Zeit und Nähe meistens nicht dafür ausreicht.



Der weitere Verlauf des Konzerts war etwas anders, wie in den Jahren zuvor, als Perry sein 2004-er Album „Panic In Babylon“ vorstellte. Der größte Teil der Stücke war zwar nach wie vor von diesem großartigen und bisher letzten Studioalbum, aber es waren auch einige neue Sachen dabei, die hoffentlich bald auf eine Neuveröffentlichung in diesem Style hoffen lassen.
Aber auch die bekannten Stücke wurden von Lee Perry teilweise neu interpretiert, was manchmal leider etwas die gewohnte Harmonie störte. Wo bei „Inspector Gadget“ und anderen Stücken noch alles zusammenpasste, kamen ausgerechnet bei „I Am A Psychatrist“ die Band und Lee einfach nicht mehr unter einen Hut. Schade, gerade dieses Stück hatte ich bei den Shows der Vorjahre vermisst und ist eines der besten Stücke des Albums.



Glücklicher Weise war diese Disharmonie eine Ausnahme, und man konnte überwiegend einem gelungenen Auftritt beiwohnen. Die instrumentale Begleitung der wbr hat daran natürlich einen nicht unerheblichen Anteil, deren Musik bereits auch ohne Lee Perry ein wahrer Ohrenschmaus ist und streckenweise zum Schließen der Augen verführt. So zum Beispiel auch bei dem langsamen und elektronisch angehauchten Titel „Vodoo“ - einfach Augen schließen und schweben.



Gegen 0:00 Uhr legte Lee dann erst einmal eine kurze Erfrischungspause ein und kam danach im neuen Outfit zum letzten Akt auf die Bühne. Zwischendurch gab es lang anhaltenden Beifall, der auch spürbar einem großen Mann und seinem Lebenswerk und nicht nur seinem gerade stattfindenden Auftritt galt. Lee Perry war sichtlich erfreut und mit sich zufrieden.



Als dann Lee Perry um 0:25 Uhr seine handgeschriebene Trackliste vom Bühnenboden aufhob, war klar, dass auch dieser Auftritt wieder einmal zu Ende gegangen war. Seine Version von „Chase The Devil“, die in den vorangegangenen Jahren öfter Showabschluss war, kam leider nicht mehr.



Die Whitebellyrats gaben noch ein paar Abschlussklänge zum Besten und verließen letztendlich ebenfalls umjubelt die Bühne. Das Ende der Show war unmissverständlich und das Soundsystem übernahm wieder den Saal. Wer die Show verpasst hat, bekommt einen ungefähren Eindruck, wenn er sich das im Jahr 2006 erschienene Album „Alive, More Than Ever“ zulegt. Dieses Album gibt weitestgehend den Inhalt der Show wieder – mit Ausnahme der neuen Sachen. Aber auch die Besucher der Show haben mit diesem Album eine bleibende Erinnerung, auch wenn man bereits das Studioalbum „Panik In Babylon“ besitzen sollte. Reggae in Berlin

Nach der Show galt es natürlich noch einmal Lee Perry persönlich Respekt zu zollen und ein paar Fotos der früheren Shows anzusehen. Lee war wieder fabelhaft aufgelegt und völlig ausgeglichen. Mit den anwesenden Gästen machte er jeden Spaß mit unendlicher Geduld mit. All die Male, die ich bisher Lee Perry treffen durfte, habe ich ihn nie anders kennen gelernt.
Anders lautende Meldungen, die Lee Perry in Vergangenheit immer etwas verwirrt dargestellt haben, kann ich nicht ansatzweise bestätigen, auch wenn er mich gerne jedes Mal Peter Pan nennt.




© Text Peter Joachim
© Fotos Peter Joachim feat. Marion

Mein besonderer Dank geht an das Management der Kulturbrauerei, Christoph von Revelation Concerts und natürlich an Lee Perry selbst, die mit zum Gelingen dieser Story beigetragen haben.

Interessenten für die Alben „Panic In Baylon“, „Alive, More Than Ever“ und weitere, können sich unter Anderem bei www.irierecords.de umsehen.

Zum Veranstaltungskalender der Kulturbrauerei (Maschinenhaus, Kesselhaus usw.) gelangt Ihr über den Link: www.kesselhaus-berlin.de bzw. www.kulturbrauerei-berlin.de.

Infos zu künftigen Touren und Einzelauftritten unter der Regie von Revelation Concerts findet
Ihr unter www.revelation-concerts.de.

Kontaktaufnahme zum Autor, Kritiken u.A. unter: ib-joachim@freenet.de.