Reggae in Berlin

Wassermusik Festival: HORACE ANDY + LEE PERRY & ADRIAN SHERWOOD

 

 

 

Neben den Konzerten gab und gibt es aber auch passend zu den Themen, Filme, Lesungen, Podiumsdiskussionen oder Konferenzen. Ganz klar, dass ein Festival, welches sich dieses Gebiet zum Thema auserkoren hat, nicht am Reggae vorbeikommt. Am Freitag den 17. Juli kam es dann für die Reggae-Massive zum Highlight des Festivals. Zuerst Superstar Horace Andy und danach noch Legende Lee „Scratch“ Perry mit dem Dub-Genie Adrian Sherwood als Doppelkonzert. Im Anschluss gab es dann auch noch den Kultfilm „Countryman“ zu sehen, der in Jamaika spielt und natürlich mit viel Reggae gespickt ist.

Nachfolgend ein paar Eindrücke vom Tage.

Ort des Festivals ist die ehemalige Kongresshalle, die auch als „Schwangere Auster“ bekannt ist und im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im Jahr 1957 geplant und realisiert worden ist. Im Mai 1980 kam die „Schwangere Auster“ in die Schlagzeilen, als ein Teil der Dachkonstruktion einstürzte und die Titel der „Tageszeitung“ mit „Schwangere Auster niedergekommen“ spöttelte. Seit 1989 dient das Gebäude nicht mehr als Kongresshalle, sondern dem Haus der Kulturen der Welt als Begegnungsstätte mit Kulturen aus aller Welt, vor allem aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Es präsentiert sich als Heimstatt für Theater, Performances, Musikdarbietungen und Ausstellungen außereuropäischer Kulturen. Mehr Infos dazu gibt es unter www.hkw.de.

Als wir nach einigem Gekurve durch das Umfeld des Berliner Regierungsviertels endlich einen Parkplatz erwischt haben, finden wir ein stark umlagertes Haus der Kulturen vor. Vor dem Eingang stehen noch Hunderte Besucher, die vergeblich auf eine Karte warten. Die Veranstaltung ist schon seit mehreren Tagen ausverkauft. Ursprünglich als Open-Air-Veranstaltung geplant, musste man wegen Unwetterwarnungen das Ganze leider nach drinnen verlegen. So konnte man neben den bisher verkauften 1000 Karten keine zusätzlichen Leute mehr hineinlassen. Man achtet hier streng auf die nötige Bewegungsfreiheit der Gäste, was eigentlich auch gut so ist. Die Tageskarte für 10,00 Euro ist auch ein sehr moderater Preis, was für zusätzliche Besucher gesorgt haben dürfte. Wo sonst die Berliner Reggae-Konzerte nicht mit diesem riesigen Andrang zu kämpfen haben, gibt es im Rahmen des Wassermusik-Festivals eben auch viele Gäste, die sich sonst eher weniger ein Reggae-Konzert in den dafür gängigen Locations ansehen. Viele der Fans müssen also unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen.

Wir sind spät dran und im großen Theatersaal ist bereits Horace Andy voll in Aktion.

Horace Andy ist Jahrgang 1951 und wurde als Horace Hindes in Kingston geboren. Er begann seine Karriere Anfang der 70-er Jahre bei Coxsone Dodd im Studio One. Der Durchbruch in Jamaika kam 1972 mit seinem ersten Nr.1 Hit „Skylarking“. Seine gewöhnungsbedürftige und nicht alltägliche Stimme und das ihm nachgesagte hohe Schlafbedürfnis, brachte ihm auch den Spitznamen „Mr. Sleepy“ ein. Bisher gibt es über 30 Alben von ihm auf dem Markt. Eines der vorjährigen guten Alben ist „Horace Andy On Tour“. Das bisher letzte diesjährige Album heißt „Inspiration Information 2“, eine Zusammenarbeit mit dem britischen DJ und Producer Ashley Beedle, was aber in eine andere ungewohnte Richtung geht und dem Roots-Fan nicht so zusagen wird. Mehr Infos zu Horace Andy gibt es bei: www.myspace.com/horacesleepyandy und www.myspace.com/mrhoraceandy 

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Horace ist ganz in weiß gekleidet. Er hat zwei traditionelle Halsketten um, ein Anhänger mit den Umrissen von Afrika und der andere mit dem Motto „Roots-Reggae-Rasta“. Seine Dreads, die er beim Summerjam noch offen trug, hat er dieses Mal hinten zusammengebunden. Das Publikum ist wie erwartet gemischter als sonst. Die Reggae-Massive ist heute nicht unter sich. Es gibt aber niemand im Saal den die Musik nicht mitreißt. Wer bis heute keinen Draht zu Reggae hatte, bei dem dürfte Horace nun das Interesse geweckt haben. Auch die Band überzeugt mit perfektem Zusammenspiel und beeindruckenden Bläsereinsätzen, die der Musik den richtigen Sound verpassen.
Horace wird lautstark gefeiert und kommt am Ende an einer Zugabe natürlich nicht vorbei.

 

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In der Umbaupause strömt das Publikum in das angrenzende Außengelände um nach frischer Luft zu schnappen. Im Saal selbst herrscht karibisches Klima, obwohl alle anderen Bereiche des Kulturhauses angenehm temperiert sind. Ein wenig Frischluft, auch im Theatersaal, wäre nicht von Schaden gewesen. Viele Besucher sind durchgeschwitzt, als hätten sie selbst ein Bühnenprogramm absolviert.

 

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Nach dem sich auch Horace wieder erholt hat, geht es zum Interviewtermin in den großzügigen Backstagebereich, der ebenfalls einen zusätzlichen Außenbereich besitzt. Sehr angenehm ist die ruhige und zuverlässige Unterstützung der Mitarbeiterinnen des Hauses der Kulturen, die den Termin bei Horace abfragen und in geordneten Bahnen verlaufen lassen. Das Interview findet Ihr gesondert auf www.reggaeinberlin.de unter „Reviews“ und dort unter „Interviews“.

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Während des Interviews taucht auch noch Lee Perry auf, postiert sich hinter Horace und überrascht ihn als er seine eigenen Kommentare einwirft. Ein schöner Moment zwei Legenden des Reggae so zusammen erleben zu können. Inzwischen hat Lee an unserem gegenwärtig blühenden und stark duftenden Sommerflieder Interesse gefunden, muss ihn sich gleich unter sein Space-Cap schieben und in sein schillerndes Outfit einverleiben, bevor ihn Tourmanager Christoph von Revelation Concerts (www.revelation-concerts.de) zu seinem Gig ruft.
 

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Lee Perry tritt heute gemeinsam mit Adrian Sherwood auf. Anders als bei den zurückliegenden Shows der letzten Jahre, gibt es also dieses Mal keinen Auftritt mit den White Belly Rats, sondern eine Soundsystem-Show. Ursache ist Lee Perrys 2008-er Album „The Mighty Upsetter“, welches ebenfalls in Zusammenarbeit mit Adrian Sherwood bei One-U Sound erschienen ist.

Lee Perry ist inzwischen 73 Jahre alt und zum Glück immer noch nicht zu müde für neue Produktionen und Auftritte. Einen großen Anteil daran hat seine junge Frau, die für ihn das wichtigste im Leben geworden ist und mit der er heute zusammen in der Schweiz lebt. Lee Perry ist eine der schillerndsten und dienstältesten Reggaegröße, die man noch live erleben kann. Sein prägender Einfluss im Reggae ist unbestritten und die Liste der Künstler, die von ihm produziert worden sind, ist lang. Seine Discography ist nahezu endlos und kaum überschaubar. Ohne Empfehlung und Hörprobe sollte man aber nicht wahllos daraus schöpfen. So experimentierfreudig und variabel wie Lee Perry ist, so sind auch seine Alben nicht auf einen Style festlegbar. Es gibt immer wieder Überraschungen und nahezu jede Fangemeinde kann fündig werden. Am 24. Mai vorigen Jahres war Lee Perry zuletzt in Berlin aufgetreten. Ein umfassendes Concert-Review, mit mehr Infos zu Lee Perry, gibt es bei www.reggaeinberlin.de. Weitere Informationen zu Lee Perry findet man unter Anderem unter www.myspace.com/leescratchperry.

Mit Adrian Sherwood kommt ein Mann nach Berlin, der als Dub-Magier von Großbritannien bekannt geworden ist. Adrian ist Jahrgang 1958 und wurde als Adrian Maxwell Sherwood in London geboren.

Sein erstes Label Carib Gems gründete er im Jahre 1975, auf dem unter Anderem das Debütalbum von Prince Far I erschienen ist. Später folgte das kurzlebige Label HitRun und 1980 das Label One-U Sound, nach seinem gleichnamigen Soundsystem. Seine Dub-Kreationen galten schon in den 70-er Jahren als unverwechselbar und waren gekennzeichnet von großer Experimentierfreudigkeit. Eine Eigenschaft die er mit Lee Perry gemeinsam hat. Lee Perry trifft mit seinem neuen Album nicht zum ersten Mal mit Adrian Sherwood zusammen. Gemeinsame Produktionen sind unter Anderem auf „From My Secret Laboratory“ und „Time Boom X De Devil Dead“ zu hören.

 

Was wir dann live zu hören bekommen ist einfach atemberaubend. Adrian macht nicht nur eine einfache Soundsystem-Show, sondert zaubert aus seinem enormen Wirrwarr von Kabeln und Gerätschaften noch eigene Klangelemente dazu, die einen speziellen Sound ergeben. Man fühlt sich in die Zeit alter Black-Ark Aufnahmen zurückversetzt, jedoch kombiniert mit neuen Dub-Elementen.
Auch das Klangbild verschiedener Produktionen mit Mad Professor ist nicht zu überhören.
Alte Klassiker wie „War Inna Babylon“ oder „One Step Forward“ werden so zum völlig neuen Erlebnis.
 

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Lee Perry im gewohnt schrillen Outfit ist auch wieder ein glitzerndes Kunstwerk für sich.

Riesige Ringe an jedem Finger, Ketten, sein reich verziertes Space-Cap und natürlich wieder die selbst gestalteten auffälligen Schuhe. Mit auf der Bühne sein Reisekoffer, der auf allen Seiten mit diversen Aufklebern zugeklebt ist, die vom ursprünglichem Design fast nichts übrig lassen.

 

Vom neuen Album „The Mighty Upsetter“ hören wir unter Anderem Stücke wie „International Broadcaster“, „Rockhead“, „Lees Garden“ oder „Everything Start From Scratch“, wobei „Rockhead“ und „Lees Garden“ die mitreißendsten Stücke sein dürften. Aber auch andere ältere Sachen wie „De Devil“ (LSP legalize …) und viele weitere Stücke fügen sich in den Charakter der Show vortrefflich ein.

 

Zum Ende des Gigs verabschiedet sich Lee von einem völlig durchgeschwitzten und begeisterten Publikum. Eine Zugabe gibt es nicht, obwohl die Massive lautstark danach verlangt und Adrian selbst den Glauben hat, dass Lee Perry noch einmal erscheint. Seine fragenden Blicke in Richtung Bühnenaufgang bleiben aber unerwidert. So beginnt dann schließlich Adrian seine Technik zu entwirren und zu verpacken, während er noch ein paar Stücke zum „Abkühlen“ hinterher schiebt.

Langsam löst sich das Publikum auf und kann auf einen gelungenen Abend zurückblicken.

 

Nun besteht noch die Möglichkeit im Obergeschoss den Kultfilm „Countryman“ anzusehen, was wir aber zu Gunsten eines eventuellen Backstage-Termins mit Lee Perry zurückstellen.

Erst heißt es zwar, Lee würde heute keine Interviews geben, aber dann kommt doch noch seine Zustimmung. Maximal von 10 Minuten ist die Rede. Letztendlich ist das aber nicht zu halten. Die Liste eines Fragestellers ist besonders lang und er muss vom Management angemahnt werden, für die anderen Anwesenden noch etwas Zeit übrig zu lassen. Er will aber nicht aufgeben und wirft immer wieder seine Fragen beiläufig mit ein, obwohl die Interviews dann längst abgeschlossen waren und nur noch Fotos und Autogramme als Richtung vorgegeben worden sind. Lee Perry bleibt aber zum Glück die Ruhe selbst, obwohl schon mehrfach von seiner Frau und dem Management der Aufbruch verkündet wird. Zum Ende sind dann doch alle Anwesenden zufrieden gestellt und die „10 Minuten“ mehrfach überschritten.

 

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Als die Perrys schließlich in Richtung Taxi aufbrechen, versuchen wir vom Countryman noch zu erhaschen was übrig ist. Noch dem Perry-Wahn verfallen, begrüßt uns im Kinosaal auch noch passender Weise Lee Perrys Klassiker „Dreadlocks In Moonlight“. Der Film ist damit aber leider auch schon so gut wie vorbei. Schade, aber letztendlich nicht so schlimm. Filme kann man jederzeit erneut ansehen, aber eine Legende wie Lee Perry trifft man nicht alle Tage.

Text: Peter Joachim

Fotos: Peter Joachim feat. Marion

Mein besonderer Dank geht an Julia Hihn vom Haus der Kulturen der Welt (www.hkw.de), F-Cat (www.f-cat.de), Christoph Tewes von Revelation Concerts (www.revelation-concerts.de) und natürlich an die Akteure des Abends selbst.

 

Wer eines der genannten Alben benötigt, sollte sich auf die Suche bei www.irie-records.de begeben bzw. dort anfragen. Es gibt fast immer einen Weg.

 

Kontakt zum Autor unter: reggaestory@t-online.de .