Reggae in Berlin

P.R. Kantate - Kalt!

Diese Reggaenummer "Kalt!" vermittelt in melancholischen Pelz gepackt einesatirische Sicht auf derzeit aktuelle Situatiuonen:Mit vor Kälte zugekniffenen Augen schärft Kantate seinen Blick auf dieWesenszüge der Zeit und Welt, in der wir gerade leben.In dieser Welt vermischen sich Orte, Eindrücke, Zeitungsschlagzeilen undFernsehnachrichten und konglomerieren zu einem kompakten mentalenEisball: "Kalt!" bezieht sich auf das Wetter, die Klimadiskussionen,Lebensverhältnisse in Entwicklungsländern, Öl- und Gaskrise,Schneelasten auf Strommasten, politische Phrasen und Wahlkampfgetueund die sprichwörtliche soziale Kälte. Die Hoffnung scheint zu erfrieren,Kantates Humor jedoch läßt die Herzen wieder etwas auftauen,wenn er im Falsett singt:

"Unsa Leben is an den Ölpreis jekoppelt,und der hat sich bald verdoppelt"


Entstehungsgeschichte des Liedes "KALT! (IN JAMAIKA)"
Den Satz "Mann, ist das ist kalt in Jamaika!" sagte ich unbedacht vor mich hin, als ich beim OHRBOOTEN-Auftritt beim letztjährigen Strassentheaterfeatival BERLIN LACHT auf dem Mariannenplatz inmitten einer jubeldnen, tanzenden, bunten Menschenmengeabfeierte. Es war für Sommer wirklich kalt, alle trugen Jacken...

Flutlichtscheinwerfer, die Kulisse war eine bemalte Preßspanwand, ein Backstage-Bauwagen, Mit Stoff abgehängte Bauzäune. Alles hatte echt strassenmäßigen, improvisierten Charme, der mich im Sound der Ohrbooten für einen Moment in eine innere Atmosphäre eines Kingstoner Streetdances versetzte, auf dem ich bei meinem letzten Inselbesuch 2001 gewesen war.Ich fühlte mich in diesem Augenblick von solch einer menschlichen, musikalischen Energie umgeben, die ich vorher in Deutschland nur selten erlebt hatte, und dachte, ich wäre in Jamaika. Dafür war es aber recht kalt hier; und das verwunderte mich. Seit diesem Abend gebrauchte den Spruch "Es ist kalt in Jamaika" als flügge werdendes Wort, um gewisse Situationen zukommentieren, die zwischen Aufbruch und Resignation hingen. Die Leute, die den Spruch von mir hörten, verstanden das Paradoxon meist stillschweigend.
Im Urlaub in Süditalien dann, wo es sehr sehr schön warm war, ging mir der Satz auch nicht aus dem Kopf, und ich sang ihn innerlich auf die Melodie von Culcha Candelas "Next Generation", das in Berlin als Ohrwurm dauernd im Radio lief. Ich dachte dabei aber tatsächlich an Jamaica, und hatte vor, ein Lied über die Schattenseiten der Insel zu schreiben, also ein Gegenstück zu D-Flames "Verliebt"-song. Auch, weil ich in einer mail einer jamaikanischen Freundin gesagt bekommen habe, ich solle mich bei meinem nächsten Jamaikabesuch quasi "warm anziehen", die Gewalt sei ein immer stärkeres Problem, Mord und Totschlag nähmen wieder zu, die Armut steige, ich könne da nicht einfach von Strand zu Strand pilgern (nur weil sie neidisch war, dass ich das dort letztes mal u. a. getan hatte, obwohl ich natürlich weiss, dass in Jamaika leben kein reines Zuckerschlecken ist!).

Wieder aus Italien in Berlin, merkte ich, dass aufgrund des nahenden Herbstes, der bevorstehenden Neuwahlen und des "Jamaika-Koalition"-Geredes eigentlich ein Song über Deutschland im Kostüm Jamaikas gut wäre. Ras Krass (mein alter Ego? hat 2004 die Single "U me heart" rausgebracht) tauchte in den Tagesthemenbildern hinter den Politikern auf und wollte die jamaikanische Kolonialisierung Deutschlands feiern. Die Arbeit am Text für den Song war aber schwierig, und zog sich über Monate, weil ich subtile, paradoxe Bilder verwenden wollte, die einerseits meine persönlichen Jamaica-Eindrücke als auch die Lage Deutschlands oder aber auch der ganzen Welt widerspiegeln sollte. Und das möglichst ohne Plattitüden und Politphrasen.

Also konnte ich nur assoziative Bilder verwenden. Es ist einer der wenigen Songs, in denen nicht ein einziges Mal "ick" vorkommt, was bei mir selten ist. Ich beschreibe eigentlich eine Patchworkwelt, die zu Teilen aus Jamaika, Deutschland und dem Rest der Welt, den wir meist nur aus den Medien kennen, besteht. Die Anspielung auf Stromausfall war ursprünglich auf Jamaika bezogen, denn da fällt der Strom öfter mal aus, einfach so - wenn man überhaupt Strom im Haus hat. Auf einmal passierte die Sache mit den Schneelasten auf den Masten und die Sache bekam einen ganz anderen Dreh.

Die Bilder von kiffenden Rasta-Joschkas und das schwarz-gelb-grün-Gemauschel in der Presse hörten langsam auf, die Neuwahlen zeigten kurz die verzerrten Fratzen der Politik, weil die Fassade für eine Weile schief hing; man konnte scheinbar hinter die Kulissen schauen. Die Vorstellung war unterbrochen, und die Vorstellung, unter Merkel zu leben, liess einen frösteln. Dann New Orleans, die Klimakonferenz, die Ölpreisdebatte, der hereinbrechende Herbst und Winter.... und immer noch kein fertiger Text! Doch er reicherte sich durch immer mehr Bilder an, und das tat dem Song gut, um nicht zu platt zu werden.
Die Sache mit den Gaspreisen und der Heizung stand im Text noch vor der Ukraine-Geschichte. In gewisser Weise hat sich der Song mit den stattfindenden Geschehnissen hochgeschaukelt. Dadurch ist er über ein halbes Jahr hinweg gewachsen. Während der eigentlichen Aufnahme- und Produktionszeit heizte ich im Studio zwischen Gesangskabine und Rechner den Kohleofen, was der melancholischen Atmosphäre des Songs Wärme verlieh. Als ich in meiner Wohnung mit MEINE BAND zum Jahresabschluss Band-Advent feierte, musste ich dicke Socken verteilen: Die Heizung im gesamten Haus war ausgefallen!